„Wie wäre es mit einer werteorientierten Kanzlei?“ Das fragte mich vor einigen Monaten die Coachin des Institutes für Werte in der Wirtschaft, bei der ich meine Ausbildung zum „Feel Good Manager“ gemacht hatte. Ich hatte ihr erklärt, dass ich nach fast zwanzig Jahren meine Tätigkeit als Geschäftsführer eines Betreibers in der Altenhilfe aufgeben und wieder als Rechtsanwalt arbeiten wolle.
Dieser Satz gab mir zu denken, verband er doch zwei wichtige inhaltliche Ansätze. Den Prozess einer werteorientierten Organisationsentwicklung hatte ich vor Jahren in dem von mir seit Gründung geleiteten Unternehmen voller Überzeugung auf den Weg gebracht um insbesondere als Arbeitgeber so attraktiv wie möglich zu werden, angesichts immer mehr fehlender Fachkräfte und einer strukturellen und emotionalen Überforderung der Pflegekräfte durch zu knappe, starre nicht nachvollziehbare Personalschlüssel. Werte wie Toleranz, Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit, Vertrauen und Respekt wurden zusammen erarbeitet und in einem Leitbild formuliert. In Workshops wurden mit Mitarbeitern die Grundsätze einer solchen werteorientierten Organisation erarbeitet und umgesetzt. Angstfreiheit, Kommunikation, Teamplay, Umgang mit Konflikten, Augenhöhe, Partizipation und Willkommenskultur sind die entscheidenden Begriffe. Natürlich gelten Werte für eine Organisation immer, gegenüber Bewohnern, Kunden, Vertragspartnern, Behörden, Angehörigen, aber die größten Ausprägungen gibt es eben im Verhältnis zu den Mitarbeitern.
Was würde also nun einen werteorientierten Rechtsanwalt auszeichnen?
Mitarbeiter sehr viel weniger als vorher, Kollegen ja, aber überschaubar. Von größeren Kanzleien weiß ich, dass die Frage der Führung und des Umgangs untereinander durchaus aufgeworfen werden kann und muss. Und dies würde sicher auch sehr bewusst erfolgen, wenn man sich über die Besetzung wichtiger Positionen mit Anwälten und Fachangestellten Sorgen machen müsste. Es gelten letztlich die gleichen Spielregeln wie überall. Kann die anwaltliche Tätigkeit mehr oder weniger wertegleitet sein? Der Rechtsanwalt, das unabhängige Organ der Rechtspflege, ein freier Beruf, kein Gewerbe, so beginnt die BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung). Der berufene, unabhängige Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Er hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.
Er darf nicht unsachlich sein oder unsachlich werben, muss höchste Sorgfalt im Umgang mit Fremdgeldern üben und darf keine widerstreitenden Interessen vertreten. Verschwiegenheit gehört ohnehin zu den Berufspflichten. Noch prosaischer beschreibt es die BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) mit der „Freiheit der Advokatur“ in § 1. Der Rechtsanwalt übt seinen Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert aus. Er hat seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern.
Ein so formuliertes Standesrecht in einem Beruf, der auch noch die Qualifikation Mediator kennt und damit die Schlichtung und die möglichst einvernehmliche Streitbeilegung nicht vergisst, lässt doch keinen Raum für eine Werteorientierung?! Oder kann man Werte darüber definieren, dass man nur bestimmte Mandanten vertritt, nur eine bestimmte Haltung und ethische Grundsätze akzeptiert und andere Mandate eben nicht annimmt? Das mag grundsätzlich bei einem freien Beruf denkbar sein, kollidiert aber mit standesrechtlichen Pflichten, nach denen man nicht alles ablehnen kann oder nur aus bestimmten Gründen. Oder liegt es einfach an der Art und Weise der Bearbeitung, wie man Mandanten berät, wie man Probleme angeht und mit welchen Mitteln man sie zu lösen versucht?
Einen Anwalt einschalten wird meistens gleichgesetzt mit gewinnen oder verlieren, seinen Standpunkt behaupten.
Vielleicht kann Werteorientierung für einen Rechtsanwalt aber heißen, immer auch darauf hin zu wirken, dass Selbstreflexion und Überprüfung der eigenen Position möglich sind, Kultur, Haltung und Grundsätze auch hinterfragt werden können. Selbstkritik ist keine Schwäche, sie ist eine Gabe und führt zu meist besseren nachhaltigeren Ergebnissen als die „Kopf durch die Wand Methode“. Ich habe Zeit meines Lebens die Maxime vertreten, dass Vertrauen und Kommunikation, Kooperation und Kompromissbereitschaft wesentliche Grundlagen für eine stabile Entwicklung sind. Aber wenn es nicht anders ging, habe ich mich auch gewehrt und gestritten. Ob es in einem Bundesland eine Psychiatriekommission war, die rechtswidrig vorging, eine Nationale Stelle gegen Folter, eine Behörde, ein Kunde, in allen Bereichen kann es zu dem Punkt kommen ab dem man argumentieren und streiten muss.
Ich freue mich sehr darüber, dass ich bereits zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit Mandanten habe, die das genau so sehen, schon aus unternehmerischen Gründen. Und so habe ich mir die Tätigkeit gewünscht. Dazu das Bedürfnis nach Klartext, einfachen verständlichen Formulierungen (ganz im Sinn des Buches „Klartext für Anwälte“ von Eva Engelken). Wie überall woanders auch: Positive Grundhaltung, Vertrauen, Kommunikation und Verhandlungsbereitschaft können einen weit bringen, man kann aber auch scheitern.
Und genau besehen ist es keine Werteorientierung an sich, es ist die kluge umsichtige und selbstbewusste Herangehensweise modern tätiger Rechtsanwälte. Interessant welche Wege man geht und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.